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Florian Mayrhofer |
Digital Storytelling, Tradition und religiöse Bildung |
Erzählen ist eine beliebte Methode im Religionsunterricht (RU). Schließlich ist Erzählen eine urmenschliche Tätigkeit und auch die Bibel erzählt. Erzählen stiftet Tradition. Doch wie verändert die Digitalisierung Erzählen und welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? |
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Erzählen betrifft jeden Menschen unabhängig von Zeit und Ort. Erzählen hat Tradition und Erzählen schafft Tradition. Der Mensch wird daher zu Recht als »Storytelling Animal« (Gottschall) bezeichnet. Auch unter religiösen Gesichtspunkten hat Erzählen eine lange Tradition. Es gehört zum Kern christlicher Religion. Johann Baptist Metz charakterisierte das Christentum als »Erzählgemeinschaft«. Religiöse Tradition lebt von der narrativen Vermittlung religiöser Inhalte und Erfahrung. Sie bildet den Stoff, in den der Mensch verwoben ist und seine Fäden hineinwebt. Hans Stock kam zu dem Urteil, dass »[i]m Bereich des christlichen Glaubens […] Erzählen nichts Entbehrliches, Randständiges, Beliebiges [ist]; kein pädagogisches Zugeständnis an Kinder und im Denken Ungeübte« (Stock 1). Erzählen, Bildung sowie Tradition greifen auf Bestehendes zurück, nehmen dabei jedoch eine Selektion vor, um neue Deutungshorizonte anzubieten. Religiöse Bildung, Tradition und Erzählen gehören zusammen.
Erzählen in der Religionspädagogik
Erzählen wird religionspädagogisch von verschiedenen Seiten beleuchtet: Zunächst im Zusammenhang mit biblischem Lernen. Dietrich Steinwede und Walter Neidhart stehen Pate für die Frage, ob biblische Texte eher texttreu oder fantasievoll erzählt werden sollen. Im Grunde kommen bereits hier zwei Lesarten von Tradition bzw. die Frage nach dem Grad des freien Umgangs mit Vergangenem zum Vorschein: Mit ihrer subjektiv-biografischen Orientierung wandte sich die Religionspädagogik den Lebensgeschichten von Menschen zu. Das Bewusstsein, dass jeder Mensch seine eigene kleine Erzählung zur größeren Tradition beizutragen hat, war hier u. a. leitend. Erzählen spielt zudem im Zusammenhang mit Ökumene, Interreligiosität, ethischem Lernen oder Kirchengeschichtsdidaktik eine Rolle. Auch dort tritt Tradition im Gewand der Frage von Sinndeutung auf und ist ans Erzählen geknüpft. Vergangenes wird aufgerufen, unter einer bestimmten Perspektive ausgewählt und in einen neuen Deutungshorizont gestellt.
Die zahlreichen Beiträge zum Thema in Methodenhandbüchern zeigen zugleich ein stark instrumentelles Verständnis des Erzählens als ›Werkzeug‹ des Religionsunterrichts (z. B. Riegger 29–36), wenngleich manchmal auf die anthropologische, lernpsychologische und theologische Relevanz des Erzählens hingewiesen wird.
Die Frage, wie sich Erzählen und Digitalisierung zueinander verhalten, findet bisher allerdings wenig Beachtung. Wenn, dann ist entweder vom Niedergang mündlichen Erzählens die Rede oder allgemeiner davon, dass Erzählen nicht von Digitalisierung verschont bleibt. Ein Grundkonsens besteht in der Notwendigkeit des Erzählens. Daran ändert auch eine Kultur der Digitalität nichts. Aber wie lässt sich das verstehen?
Digitales Erzählen – Methode oder Kontext?
Religionspädagogische Beiträge jüngerer Zeit thematisieren dieses Zueinander mit dem Begriffsfeld ›Digital Storytelling‹. Die Rede ist einerseits von (Visual) Storytelling, Digital (Short) Storytelling, Digital Telling oder Graphic Narratives (u. a. Mayrhofer 2021; Nord; Pelzer). Bezeichnet wird bei näherem Hinsehen häufig ein methodischer Zugang. Digital Storytelling wird dann verstanden als Erzählen mithilfe digitaler Technologien, eine methodische Spielerei. Doch hinter Spielereien, Methoden und Technologien verbirgt sich immer ein ›Mehr‹. Dies ist der zweite Zugang zum Begriffsfeld. Dieser entwickelt ein Bewusstsein darüber, dass sich Erzählen unter Zuhilfenahme digitaler Technologien verbindet mit weiteren Feldern, in denen Erzählen eine wesentliche Rolle spielt: Werbung, Gaming und Social Media. Der Kontext als Schnittmenge unterschiedlicher Felder digitaler Technologien rückt dann ins Zentrum. Denn Religionsdidaktik weiß: Methoden sind nie Selbstzweck. Sie verfolgen ein Ziel. Sie bedienen sich bestimmter Technologien. Und Technologien sind nie neutral (Voogt u. a. 35). Das gilt auch bei digitalem Erzählen.
Digitalisierung und religiöse Bildung
Wenn Technologien nicht neutral sind, hat das Auswirkungen: Auf die Ziele religiöser Bildung im Kontext einer Kultur der Digitalität und auf den Einsatz narrativer Prozesse. Orientierungspunkt ist eine subjektorientierte Religionspädagogik. Deren Globalziel ist die religiöse Selbstbestimmung des Subjekts. Für digitale narrative religiöse Bildungsprozesse bedeutet dies, religionspädagogisch die Frage zu stellen, wie die biblische Tradition der Freiheit des Subjekts gewahrt und gestärkt werden, also freiheitstiftend-transformatorisch sein kann (Mette 102–155).
Digitale Technologien gehen einher mit Normen und Ordnungen. Diese können die Freiheit des Subjekts bedrohen, denn sie prägen unsere Perspektive auf die Welt. Digital Storytelling ist daher mehr als bloße Methode. Es ist der Kontext, der digitale narrative Prozesse ausmacht (Mayrhofer 2023). Dafür gilt es, eine Sensibilität zu entwickeln. Akteur*innen in religiösen Bildungsprozessen sollten daher antizipieren, welche ambivalenten Dynamiken einer freiheitsstiftend-transformatorischen religiösen Bildung im Wege stehen können. Bernd Trocholepczy skizzierte dies mit dem Begriff »Ambivalenzdidaktik« (Trocholepczy). [...]
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