archivierte Ausgabe 5/2022 |
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Dominik Blum |
Zweifellos? Falsche Propheten! |
Es gibt nicht nur Songs, die ausdrücklich von Falschen Propheten handeln. Es gibt auch Falsche Propheten, die gute Musik machen. Über prophetische Musik lässt sich diskutieren und streiten. |
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Den textlich undurchsichtigsten Song über einen falschen Propheten hat zuletzt Bob Dylan veröffentlicht. Auf seinem jüngsten Album Rough and Rowdy Ways (2020) findet sich auch der Titel False Prophet. Dass Dylan 1997 auf Initiative von Johannes Paul II. auf dem Eucharistischen Kongress vor mehr als 300.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter anderem Blowin in the Wind sang, dagegen war damals vor allem Joseph Ratzinger. »Ich war skeptisch und bin es in gewisser Weise noch immer, ob es wirklich richtig war, diese Art von ›Prophet‹ auftreten zu lassen« (zit. nach Kissler). Die Begründung des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation war bezeichnend: »Die Künstler hatten eine ganz andere Botschaft als der Papst.« Der Journalist Alexander Kissler sah in diesem Kommentar einen entscheidenden Unterschied zwischen dem polnischen charismatischen Menschenfischer-Papst und dem deutschen Akademiker. Während der Erste »auf das schöpferische Wehen des göttlichen Geistes, auf Evangelisation durch Inspiration, auf Spontanbegeisterung und Überwältigung« hoffte, habe Letzterer auf einer »substanz-ontologischen Position [beharrt]: Das Wahre muss erkannt und benannt werden und geschieden vom Mehrdeutigen, Zufälligen, Rauschhaften« (Kissler).
Ist also das Zweideutige, Zweifelhafte, Fragende und Suchende ein Zeichen falscher oder echter Prophetie? Wenn es an den Päpsten läge, diese Frage zu beantworten, wäre Franziskus hier sehr eindeutig: Beim »Suchen und Finden Gottes in allen Dingen bleibt immer ein Bereich der Unsicherheit. Er muss da sein. Wenn jemand behauptet, er sei Gott mit absoluter Sicherheit begegnet, und nicht berührt ist von einem Schatten der Unsicherheit, dann läuft etwas schief. Für mich ist das ein wichtiger Erklärungsschlüssel. Wenn einer Antworten auf alle Fragen hat, dann ist das der Beweis dafür, dass Gott nicht mit ihm ist. Das bedeutet, dass der ein falscher Prophet ist, der die Religion für sich selbst benutzt. Die großen Führer des Gottesvolkes wie Mose haben immer Platz für den Zweifel gelassen. Man muss Platz für den Herrn lassen, nicht für unsere Sicherheiten. Man muss demütig sein« (Sparado, 60).
Auf dieser gedanklichen Linie möchte ich gerne einige deutschsprachige Musik-Titel vorstellen, die sich der Frage nach den falschen (oder echten) Propheten widmen. Sie eignen sich für die Diskussion über das Heftthema, wie ich meine.
Bodo Wartke, Die Lösung
Wie in einem Kuriositätenkabinett der falschen Propheten stellt der Kabarettist am Klavier Leute vor, die selbst behaupten, einfache Antworten auf die Probleme unserer Zeit zu haben: Nationalisten, Islamisten, christliche Fundamentalisten und Gangsta-Rap-Artisten. Alle haben sehr ›merkwürdige‹ Ansichten zur eigenen Überlegenheit und den anderen, zu Frauen, Schwulen und Juden. Am Ende muss der überraschte Sänger feststellen: »Nach all diesen Gesprächen, diesen vieren / Lässt sich also Folgendes resümieren: / Nationalisten, Islamisten, Fundamentalisten und Gangsta- Rap-Artisten / Haben wie mir scheint / Viel mehr gemeinsam, als man meint: / Die einen glauben an die Überlegenheit der Arier / Die anderen an die Scharia / Wieder and’re an die Jungfrau Maria / Oder machen Drogendeals im Ferrari klar/ Doch die kranken Gedanken sind die gleichen / In sämtlichen Lebensbereichen / Und das anscheinend ganz autonom / Von Hautfarbe, Herkunft und Religion.« Der ebenso witzige wie erschreckende Song eignet sich gut für den Einstieg ins Thema.
Lutz Scheufler, Falsche Propheten / Böhse Onkelz, Falsche Propheten / Frei. Wild, Gutmenschen und Moralapostel
Auch solche Musiker singen über Falsche Propheten, die selbst als solche angesehen werden können. Da ist der sächsische Evangelist und Musiker Lutz Scheufler, 2012 nach einer massiven Auseinandersetzung um homosexuelle Paare in evangelischen Pfarrhäusern von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens als Jugendevangelist entlassen und seither v. a. im freikirchlichen Kontext unterwegs. Wem droht er eigentlich, wenn er singt: »Falsche Propheten verderben unser Land. / Falsche Propheten, ihr seid uns wohlbekannt. / Falsche Propheten, wir folgen euch doch nicht. / Falsche Propheten, es kommt das Weltgericht «? Um das zu beurteilen, lohnt sich eine Recherche zu Scheuflers Beziehungen zu den ›Christen im Widerstand‹, zu Pegida, Impfgegnern und Coronaleugnern bis in die rechte Szene hinein (vgl. Greifenstein). Womit wir im Blick auf die Böhsen Onkelz und ihre zweifellos rechte Vergangenheit und die Südtiroler Deutschrocker von Frei.Wild mit ihrer zwielichtigen Verbindung zur deutschnationalen Szene beim Thema sind. Meiner Erfahrung nach wird Frei.Wild gerade von älteren männlichen Jugendlichen viel mehr gehört, als Eltern und Lehrer*innen es vermuten bzw. befürchten. Es würde sich lohnen, der rechtspopulistischen Band, der vom Politikwissenschaftler Maik Großekathöfer 2018 im Spiegel bescheinigt wurde, sie klinge »wie der Soundtrack zum Parteiprogramm der AfD« (vgl. https:// de.wikipedia.org/wiki/Frei.Wild), eine interdisziplinäre Unterrichtsreihe zu widmen. Darin könnte aus medienethischer, politikwissenschaftlicher und theologischer Perspektive beleuchtet werden, was solche Zeilen bedeuten sollen:
– Journalisten, Priester, die einfach immer alles wissen Die nur schreiben, die nur richten, und die Wahrheit finden sie beschissen Sie sind Propheten, glaubt ihnen blind, ihr müsst sie lieben Zweifler, Hinterfrager sollen jetzt Peitschenhiebe kriegen Ihre Basis ist ihr Aussehen, ist ihr Glaube, ihre Position Ermahnen, Ruf beschmutzen ist ihr Job, das ist ihr Lohn Reines Wasser fließt für sie nur ganz allein Und in die Scheiße, die nach Scheiße stinkt, schmeißen sie dich rein
Danger Dan, Das schreckliche Buch
Der Frontmann der Antilopengang, Daniel Pongratz aka Danger Dan, hat mit Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt das vielleicht bemerkenswerteste Album der Coronazeit veröffentlicht. Auf dem Solo-Klavier-Album findet sich die nur auf’s erste Hören unglaubliche Geschichte Das schreckliche Buch: Ein Autor reicht einen Roman bei einem Verleger ein – das Buch wird abgelehnt. Kein Bezugspunkt zur Realität, ein Groschenroman, wirr, so lautet die Kritik aus dem Verlag. Es geht um krude Ereignisse in Berlin, wo Bongo spielende und Dreadlocks tragende Ökos mit Reichskriegsflaggen neben einem empörten Koch demonstrieren, der im Pergamonmuseum den Sitz des Teufels sieht. Schließlich wird der Sturm auf den Reichstag in letzter Minute von drei Polizisten verhindert. »Können Sie mir bitte sagen, wer so etwas lesen will? […] Ich glaube nicht, dass dieses Buch noch irgendeiner peilt.« Der angebliche Romanautor, vom Verleger wohl für einen falschen Propheten gehalten, antwortet darauf: »Lieber Verleger, es tut mir leid, da liegt ein Irrtum vor / Das Manuskript war eigentlich nicht fürs Roman-Ressort / Ich wünschte selbst, ich hätte mir das alles ausgedacht / Bitte geben Sie’s dem Kollegen, der die Sachbücher macht.« Wer ein falscher Prophet und wer ein wachsamer Beobachter ist – entscheidet das nur die Realität im Nachhinein? Eine spannende Diskussionsfrage im Anschluss an dieses Lied.
Heinz Rudolf Kunze, Spießgesellen der Lüge / Antilopengang, Lob der Lüge
Geht es nicht bei der Frage nach falschen Propheten auch um die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge? Heinz Rudolf Kunzes letztes Album will Der Wahrheit die Ehre geben. Er stellt etwa eine Person vor, die selbst Prophet oder falscher Prophet sein kann: Der Prediger.
Wichtiger aber als der Blick auf diese skurrile Figur scheint mir die Selbstreflexion zu sein, ob wir nicht selbst Spießgesellen der Lüge sind und gerade so den falschen Propheten auf den Leim gehen: »Man weiß was läuft und weiß es lieber nicht / Die Scham darüber steht uns im Gesicht / Wir alle sind Spießgesellen der Lüge / Wegbereiter vom Mist / Pausenclowns der Intrige / Jeder weiß wie es ist.« Die Antilopengang singt sogar das Lob der Lüge: »Ich hab gemerkt, dass Menschen mit der Wahrheit spielen können / Und begann mein Leben zu manipulieren, denn / Egal, ob irgendetwas konstruiert ist / Solang es mich berührt und ich es fühle funktioniert es / Darum lüge ich, dass die Balken sich biegen / Spiele ein Spiel in dem ich eine neue Wahrheit erfinde.« Überzeugend lügen, prophetisch lügen – wer macht so etwas, wie geht das? »Lügen haben oft Vertrauen geweckt / Ich hab den eigenen Lügen am meisten Glauben geschenkt.« Das hört sich fast an wie das Thema für Tage religiöser Orientierung oder einen klugen Schulgottesdienst.
Kontra K, Falsche Propheten
In seinem Glaubensbekenntnis formuliert der Berliner Rapper Kontra K, der mit bürgerlichem Namen Maximilian Diehn heißt und ukrainische Wurzeln hat: »Mein Glaube entwickelte sich erst durch spätere Erfahrungen. In meinen Texten spielt die Hoffnung eine sehr wichtige Rolle. Woher das kommt? Aus der Verzweiflung. Das ist mein Motor. […] Zu oft habe ich gesehen, dass Menschen den Wert dieser Welt nicht erkennen, sie deshalb nicht respektieren und schlimmstenfalls zerstören. Es darf für Geld gelogen, betrogen und manipuliert werden. Ich finde das abgrundtief eklig « (Kontra K). Vielleicht hat auch dieser Ekel zu der eindringlichen Warnung vor den falschen Propheten auf seinem neuen Album Für den Himmel durch die Hölle geführt. Den Menschen sieht er realistisch: »Der Mensch ist fast perfekt, aber manchmal eine Krankheit / Wie kann er so gütig und oft voller Dank sein? / Doch dann wenn ihn nichts außer Angst treibt / Wird er sogar Gott ins Gesicht lügen, falls er ihm die Hand rеicht.« Dann scheinen, wie es in der pessimistischen Hookline immer wieder anklingt, die Botschaften der falschen Propheten der einzige Ausweg: »Wir häng’n an den Lippen / Selbst wenn sie uns vergiften / Und erbeten den Segen / Von falschen Propheten.« Zum Schluss noch einmal zurück zu Bob Dylan. ›Dylanesk‹ steht zwar noch nicht im Duden. Immer öfter aber werden mit diesem Wort Musik, v. a. aber Songtexte bezeichnet, die in ihrem Sinn assoziativ, anregend und vielschichtig, aber auch undurchdringlich und uneindeutig sind. So sind auch die Lyrics zu False Prophet zu behandeln: Am besten zusammen mit einem bekennenden Dylan-Fan unter den älteren Englisch-Lehrern im Kollegium. Eine der interessantesten Kritiken zum Album Rough and Rowdy Ways habe ich in der Jüdische Allgemeine gefunden. Dort schreibt der Journalist Martin Krauß: Das Album »reflektiert Dylans 60-jähriges musikalisches Schaffen, es greift die große Tradition der Protestsongs auf, für die der junge Dylan auch einmal stand. Es verarbeitet die apokalyptischen, biblisch inspirierten Themen Dylans. Es bringt uns neue traurig-sentimentale Liebeslieder. Und Dylan gelingt es, dem allen seinen legitimen Platz in der amerikanischen Kultur zuzuordnen, deren Teil er ist, von der er aber weiß, dass sie ihn mit so unglaublich vielen Facetten geprägt hat. Mit Dylan (in False Prophet) gesagt: «I ain’t no false prophet / I just know what I know / I go where only the lonely can go.«
Literatur Greifenstein, Philipp, Die rechte Ecke: Alte Bekannte bei den »Christen im Widerstand«: www.eulemagazin.de/die-rechte-ecke-alte-bekannte-bei-den-christen-im-widerstand (27.11.2020, aufgerufen am 28.8.2022) Kissler, Andreas, Das Sein und der Rausch. Die Dylan-Exegese Benedikts XVI.: https://www.sueddeutsche.de/kultur/die-dylan-exegese-benedikts-xvi-das-sein-undder-rausch-1.878212 (19.5.2010, aufgerufen am 27.8.2022) Kontra K, Glaubensbekenntnis: www.sueddeutsche.de/leben/glaubensbekenntnis-kontra-k-1.3539930 (9.7.2017, aufgerufen am 28.8.2022) Krauß, Martin, Kein falscher Prophet: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/kein-falscher-prophet/ (25.6.2020, aufgerufen am 27.8.2022) Spadaro, Antonio, Das Interview mit Papst Franziskus. Herausgegeben von Andreas R. Batlogg, Freiburg 2013.
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