Spannender als die Auseinandersetzung mit den Lehrgebäuden anderer Religionen ist die Beschäftigung mit Menschen, die sich zu ihrer Religion bekennen und sie im Alltag zu leben versuchen. Dieses Prinzip der Personalisierung (Mendl 2017, 131), von konkreten Menschen aus mit Bildern und eigenen Texten Religionen zu präsentieren, inspirierte die Gestaltung eines Uniseminars für Lehramtsstudierende aller Schularten in Passau – in Anlehnung an die Ausstellung aus Niedersachsen »Gesichter der Religionen« (siehe Infokasten).
Nun erscheint die Lage im Südosten Deutschlands für ein solches Unterfangen ungleich schwieriger zu sein als in Niedersachsen; handelt es sich dort tatsächlich um eine multireligiös zusammengesetzte Gesellschaft, so ist im Osten Bayerns die Welt noch überwiegend monoreligiös geprägt. Dies wurde bereits bei der Erfragung der Ausgangslage deutlich: Die wenigsten Studierenden haben einen unmittelbaren Kontakt mit Menschen anderer Religionen, und auch das Grundwissen beschränkt sich auf die Ebene des Trialogs zwischen Christentum, Judentum und Islam (vgl. Langenhorst in diesem Heft). Andererseits wissen wir aus allen neueren religionssoziologischen Studien, dass eine faktisch vorhandene Pluralität nicht unmittelbar dazu führt, dass es auch Kontakte zwischen den verschiedenen Milieus und Gruppen gibt und die Pluralität auch pluralistisch bewältigt wird: Man lebt in der Regel nebeneinander her.
Das erste Ziel des Seminars bestand darin, Menschen, die einer anderen Religion als der eigenen angehören, zu interviewen und auf einer Schautafel zu präsentieren. Es fiel den Studierenden übrigens dann doch leicht, Gesprächspartner zu finden, die sich auf das Projekt einlassen wollten, sodass schließlich Angehörige mit folgenden religiösen Orientierungen gefunden wurden: Evangelische, Evangelisch-Freikirchliche, Neuapostolische, Bahai, Muslime und ein Shinto. – Leider waren Judentum, Buddhismus und Hinduismus nicht vertreten. Doch wie kommt man zu Interviewfragen, die aussagekräftige Antworten evozieren können? Aus verschiedenen religionswissenschaftlichen Theorien (vgl. Porzelt 45–107) wurden zentrale Dimensionen von Religion eruiert (Lehre, Orte, Symbole, Gebete und Riten, Ethik, Alltag, Emotionen ...), die dann in entsprechende Fragesätze hinein konkretisiert wurden.
Zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung
Im Projektprozess erfolgte nun ein Perspektivenwechsel, der schließlich zum Dreh- und Angelpunkt des Seminars wurde: Die Studierenden erprobten das Instrumentarium zunächst nicht an einer fremden Person, sondern begaben sich selber in die Rolle des Interviewten: Wie würde ich die Fragen beantworten?
[...]