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PRAXIS
Simone Hiller
Tradition im ›doing transition‹ von Religionsunterricht an beruflichen Schulen
Transitionen sind bedeutende Übergänge im Leben eines Menschen. Ein wichtiger Übergang ist der Schritt ins Berufsleben. Der diesen begleitende Berufsschulreligionsunterricht ist ›doing transition‹ und gibt sich dabei untraditionell – im Unterschied zu manchen seiner Schüler*innen.
Dem Forschungsansatz von ›doing transition‹ folgend (vgl. Kooperatives DFG-Graduiertenkolleg), werden Übergänge nicht einfach als natürliche Gegebenheiten verstanden, die zudem über Erfolg und Scheitern entscheiden. Vielmehr rücken das Zustandekommen, die Gestaltung und die immer wieder neue Herstellung von Übergängen in den Fokus: eben das ›Doing‹ von Übergängen. Dabei wird der Dualismus zwischen Struktur und Handeln überwunden und es geraten auch Modi und Dimensionen von Transition in den Blick, zum Beispiel, wie Übergänge institutionell prozessiert werden.

Ausbildung als Schritt in den Beruf ist ein Ort solcher Transition. Von Heranwachsenden wahrgenommen als bleibende finanzielle Abhängigkeit bei zunehmender Selbstständigkeit (vgl. Helbling 6) formt auch die duale Ausbildung diesen Übergang als Statuswechsel durch das übergangsweise Nebeneinander des bisherigen und angezielten Daseins: Sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Schule noch Schüler*innen im 45-Minuten- Takt, Klassenzimmer und Klausuren, werden sie im Betrieb als Arbeitnehmer*innen behandelt, für die Gehalt, Arbeitszeit, einzureichende Urlaubstage, Hierarchien, Tarifverträge und anderes mehr selbstverständlich gelten. Berufsschule ist eine Übergänge prozessierende, im Sinne von diese vorantreibende und verarbeitende Institution, und Berufsschulreligionsunterricht (BRU) ein Teil davon.

Ganz allgemein scheinen Transition und Tradition in christlicher Glaubenspraxis und Theologie eng verbunden: Sakramente werden als Initiation begriffen, Rituale als Übergangsriten (»rites de passages«) verstanden, pastorales Handeln findet nahe am Entwicklungsgeschehen der Einzelnen und an Wegmarken menschlicher Biografie statt (vgl. Helbling). Aus diesen Gedanken heraus stellt sich die Frage: Welche Rolle hat Tradition im ›doing transition‹ von BRU? Sie wird im Folgenden in vier Schritten reflektiert: Was ist BRU? Welche Rolle spielt Tradition für Schüler*innen im BRU? Wie verhält es sich um religiöse Tradition in Transitionsprozessen? Und letztlich: Was ergibt sich daraus für Tradition in ›doing transition‹ im BRU?

Untraditioneller BRU

Ausgangspunkt für die Reflexion von ›doing transition‹ im BRU soll eine knappe Charakterisierung dieses BRU sein. Geschieht dies auf der hier vorliegenden Folie von Tradition, so zeigt er sich in mehreren Dimensionen als eher ›untraditionell‹. Wie auch der Religionsunterricht in anderen Schularten geht er konzeptionell von subjektorientierter religiöser Bildung aus, in deren Dienst auch die reflektierte Tradierung christlichen Glaubens steht.

Im Unterschied zu (den meisten) allgemeinbildenden Schulen richtet er sich dabei konstitutiv auch an den konkreten Handlungsfeldern aus, die seine Schüler*innen voraussichtlich erwarten: Didaktische Struktur des BRU ist die Lernfelddidaktik, in der die Inhalte verschiedener Schulfächer auf praxisrelevante Problemstellungen hin vernetzt werden. Inzwischen erfolgt die Verbindung zwischen Tradition und erwarteten Lebenssituationen durch Anforderungssituationen als Ausgangspunkt für Unterrichtssequenzen (vgl. Gronover 463–464). Schon lange wird er aus organisatorischen Gründen oft im religiös pluralen und heterogenen Klassenverband erteilt. Daraus folgt eine inzwischen als offene Konfessionalität reflektierte Ausrichtung des BRU, die »der bewährten Tradition des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts in Deutschland einerseits und den demografisch bedingten massiven Veränderungen andererseits« (vgl. Boschki et al. 232) entspricht. Offene Konfessionalität zeichnet sich aus durch Erkennbarkeit sowie Transparenz, Sensibilität gegenüber Konfessionslosen und Offenheit für Kooperation (Boschki et al. 234–236).

Findet Unterricht ›traditionell‹ in 45-, 60- oder 90-minütigen Schulstunden statt, wird BRU mancherorts jenseits davon in neuen Zeitund Organisationsmodellen konzipiert und gehalten, was auch didaktisch neue Möglichkeiten und Erfordernisse mit sich bringt (vgl. Gronover et al.).

Entgegen der Tradition von Berufsschule als Weg in einen Beruf ist berufsbildende Schule mit ihrer Vielzahl an Bildungsgängen auch jenseits dualer Ausbildung ein wichtiger Ort für junge Menschen, die den ›traditionellen‹ Weg von Schule über Berufsausbildung oder Studium in einen Beruf teils früh und aus unterschiedlichen Gründen verlassen. Insbesondere die Bildungsgänge im sogenannten Übergangssystem beinhalten dabei immer auch die Option, zumindest vorerst das Ende des schulischen Bildungswegs zu markieren und die Schüler*innen ›ungelernt‹ aus der Schulpflicht zu entlassen. Wortspielend und zuspitzend kann also festgehalten werden, dass BRU ein ›doing transition‹ von Traditionen hin in eine noch offene Zukunft von Religionsunterricht ist.

Großgeschriebene Tradition


Welche Rolle spielt Tradition für die, um die es im BRU geht, die Schüler*innen? Mangels einschlägiger Studien stützt sich das Folgende auf Erfahrungswerte aus der Praxis. Der Eindruck ist: Schüler*innen halten sich oft an konkreten Ankerpunkten fest, die ihr Berufs› bild‹ ausmachen. Dazu gehören erzählte und erlebte Vorbilder ebenso wie tradierte und an sie herangetragene Rollenbilder: Mechaniker* innen-Azubis tragen Funktions-Arbeitskleidung auch im Alltag. Erzieher*innen in Ausbildung managen beim Familienfest die Kinderbetreuung. Angehende Bankkaufleute vermeiden sichtbare Tätowierungen und Piercings. Wo es darüber hinaus teils über Jahrhunderte bewahrte Traditionen gibt, werden sie mit diesen konfrontiert und werden sich dazu bewusst oder unbewusst verhalten müssen: Angehende Zimmerleute können sich entscheiden, auf Walz zu gehen, oder sammeln vielleicht schon Ideen für Richtsprüche. Krankenpfleger* innen in Ausbildung setzen sich mit dem hippokratischen Eid auseinander. Das zeigt Traditionen als Orientierungspunkte auf dem Weg ins Zukünftige.

Religion und Tradition in Transitionsprozessen


Wie verhält es sich um religiöse Tradition in Transitionsprozessen allgemein? Welche Rolle nehmen sie ein? Die Annahme, dass christlicher Glaube Heranwachsende selbstverständlich überzeuge und begleite, wurde für die Konfirmationsvorbereitung eindrücklich widerlegt: Die Studie dazu zeigt bei den Jugendlichen während dieser kirchlich strukturierten Transition wachsende Zweifel daran, dass die christliche Tradition Antworten auf wichtige Fragen der Jugendlichen hat (vgl. Elsenbast et al.).

Wird religiöse Tradition enger in Form von religiösen Ritualen gefasst, lassen sich hingegen Qualitäten von Religion in einem Transitionsprozess fassen. Die Studie zur religionssensiblen und interreligiös reflektierten Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule (vgl. Mößle et al.) zeigt die Relevanz religiöser Rituale im Transitionsprozess: Sie verleihen Tiefe und Würde und sorgen für eine bewusste Gestaltung dieses Transitionsprozesses als eine längere Zeit umfassend, partizipativ, divers, inklusiv und festlich. Als religionspädagogische Kriterien für eine gelungene religionssensible und interreligiös reflektierte Gestaltung identifizieren die Autor*innen Beziehungsorientierung, Zutrauen in die Kinder, aktive Beteiligung der Kinder, bewusstes Unterbrechen und Respekt gegenüber anders- und nichtreligiösen Kindern.

BRU als Tradition in Transition und Übergangsbegleitung

Was ergibt sich aus diesen Überlegungen für Traditionen in ›doing transition‹ im BRU? Vielleicht diese beiden Gedankenstränge: Ohne sich auf ein Traditionsverständnis festzulegen, zeigt die Charakterisierung von BRU, dass Tradition unter Veränderungsdruck selbst in Transition gerät. (Sie ist ja auch das Weitertragen des Feuers …) Dass im BRU verschiedene und vielfältige Menschen, Kulturen, Logiken und Traditionen aufeinandertreffen, zeigt, dass Tradition, insbesondere Glaubenstradition, nicht als ein Monolith zu begreifen ist, sondern als komplexes Konzept verstanden werden muss, das aus verschiedenen Perspektiven zu erschließen ist.

Tradition nicht als ein Monolith, sondern als komplexes Konzept, das aus verschiedenen Perspektiven zu erschließen ist, verstehen.

Tradition bietet Orientierungspunkte, auf die Schüler*innen von sich aus zurückgreifen. Wo Transition mit Unsicherheit verbunden ist, kann sie religionssensibel und interreligiös reflektiert mit Ritualen gestaltet werden. Auch wenn Transition in die Grundschule nicht 1:1 auf Transition in den Beruf übertragen werden kann, so scheinen doch doch Erkenntnisse auch für die Berufsschule relevant. Das Wichtigste: Transition passiert nicht nur, sondern wird hergestellt. BRU muss sich seiner Rolle als Transition in den Beruf prozessierende Institution bewusst sein und dies auf allen didaktischen Ebenen berücksichtigen. Dazu gehört (die Ergebnisse für den Übergang von Kita in Grundschule weiterdenkend) unter anderem das gemeinsame Entdecken von Traditionen und Ritualen – religiösen und kulturellen, privaten, gesellschaftlichen und beruflichen –, das Wecken des Interesses, selbst Teil davon zu werden und diese weiterzuschreiben bzw. weiterzuentwickeln, der gegenseitige Respekt vor verschiedenen Traditionen und die Reflexion, ob und wie gemeinsame Rituale stattfinden sollen.

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