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REFLEXION
Alexander-Kenneth Nagel
Moderne Endzeitfantasien zwischen ›Atomkrieg‹ und ›Zombie-Apokalypse‹
Der Anfang des dritten Jahrtausends ist reich an apokalyptischen Visionen: Von der Coronapandemie bis zum Bevölkerungsaustausch, vom Klimanotstand bis zur Machtübernahme durch künstliche Intelligenz häufen sich moderne Untergangsprophezeiungen. Grund genug, nach Hintergründen für die anhaltende Faszination zeitgenössischer Apokalypsen zu fragen.
Wie kommt es, dass von all den vielen sperrigen Ausdrücken der Religionsgeschichte v. a. die Apokalypse in das Alltagsverständnis spätmoderner Gesellschaften hinübergeschwappt ist? Die Grundbedeutung des Wortes ἀποκάλυψις = Offenbarung dürfte außerhalb theologischer und religionswissenschaftlicher Zirkel heute kaum jemandem geläufig sein. Auch den Inhalt und Aufbau der gattungsbildenden Johannesoffenbarung können wohl nur die wenigsten wiedergeben. Wenn alltagssprachlich von der Apokalypse die Rede ist, dann ist damit in aller Regel die Katastrophe schlechthin gemeint, das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

Apokalypse im Alltag

Die Perspektive der Erlösung hingegen, die in der Johannesoffenbarung vergleichsweise kurz, aber durchaus gewaltig zur Sprache kommt, spielt im alltäglichen Gebrauch kaum mehr eine Rolle. Dabei hat gerade die Coronakrise verdeutlicht, dass das Erlösungsmoment der Apokalypse nunmehr seinen Ort in den Feuilletons bildungsbürgerlicher Zeitungen gefunden hat. So betont Hannes Stein in der WELT: »Die Apokalypse ist nicht der Weltuntergang « (Stein 2020) und verweist auf die hoffnungsvolle Perspektive der biblischen Apokalyptik.

Derweil scheinen die verfassten Kirchen die Apokalypse geradezu zu scheuen; ihr Pathos, die dualistische Zuspitzung, die destruktiven Fantasien, welche der Erlösung vorausgehen, sind unbequem. Auch Religionslehrkräfte berichten, dass sie mit den apokalyptischen Texten fremdeln. Kann man der Gemeinde, kann man den Schüler*innen diesen Stoff noch zumuten? So betrachtet, haben wir es mit einer beidseitigen religiösen Entfremdung zu tun: Im Alltagsverständnis entfremdet sich die Apokalypse von ihren religiösen Implikationen, und zugleich entfremden sich die religiösen Multiplikatoren von der Apokalypse. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist diese Diskrepanz interessant, aus religionspädagogischer Sicht dagegen überaus beklagenswert, insoweit ein großer lebensweltlicher Resonanzraum für ›apokalyptische‹ Erfahrungen ungenutzt bleibt. Grund genug also, sich der anhaltenden Faszination am fulminanten Untergang einmal genauer zuzuwenden.

Merkmale moderner Apokalypsen

In seinem großartigen Buch Die Apokalypse in Deutschland hat der Literaturwissenschaftler Klaus Vondung den Versuch unternommen, ausgehend von den apokalyptischen Texten der Bibel verallgemeinerbare Strukturmerkmale apokalyptischer Deutung herauszuarbeiten. Er unterscheidet dabei drei Dimensionen:

1. Apokalyptische Bilder sind konkrete Motive und Imaginationen des Krisen- bzw. Untergangsgeschehens. Dazu gehören neben kosmischen Ereignissen (Kometen, Sonnenstürme) auch Naturkatastrophen und der Zusammenbruch der sozialen Ordnung im Inneren (moralischer Niedergang und »Bruderkampf «) und Äußeren (»Völkerkampf« als weltumspannende kriegerische Auseinandersetzung). Auf einer allgemeineren Ebene ist die apokalyptische Bildsprache laut Vondung durch dualistische Zuspitzungen gekennzeichnet, etwa von »Reinheit und Schmutz« oder »Freund und Feind« (Vondung 176).

2. Demgegenüber bezieht sich der apokalyptische Stil weniger auf den Inhalt als auf den Aufbau apokalyptischer Erzählungen. Folgt man Vondung, so basierte die dramaturgische Struktur klassischer Apokalypsen v. a. auf dem Dreischritt Krise – Gericht – Erlösung (vgl. ebd. 291f.). Im Unterschied dazu sei die moderne Apokalyptik in der Regel »kupiert«, also um das Moment der Erlösung beschnitten (ebd. 106). Zugleich weisen klassische und moderne Apokalypsen verschiedene stilistische Gemeinsamkeiten auf, etwa im Blick auf ihren Offenbarungsgestus, die zeitliche Verortung der Erzählung an einem historischen Wendepunkt und die dadurch vermittelte Dringlichkeit der Botschaft.

3. Dies führt Vondung zur apokalyptischen Rhetorik, also der Einwirkung und Intention des apokalyptischen Sprechers auf seine Hörerschaft. Während klassische Apokalypsen v. a. den Trost oder die moralische Ertüchtigung der Adressat*innen im Sinn hatten (vgl. ebd. 323), seien moderne Apokalypsen deutlich häufiger aktivistisch ausgerichtet. Sie zielen auf die Mobilisierung oder Agitation der Zuhörer*innen (vgl. ebd. 319). [...]


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