archivierte Ausgabe 3/2024 |
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Dominik Blum |
Und wir lesen in den ältesten Liedern / Unsere neusten Träume* |
Jeder kennt Songs, die einen durchs Leben begleiten und im biografischen Blick wie Meilensteine und Orientierungspunkte erscheinen können. Das Hören (und Singen!) von Musik birgt tiefe individuelle und gemeinschaftliche Erfahrungen, die es auch religionspädagogisch wieder stärker zu nutzen gilt. Ein Plädoyer. |
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Lingen, Emslandhalle. Mit meinem Sohn bin ich da, Reihe 15, ziemlich weit vorne. BAP spielt, ›meine‹ Rockband. Die erste Begegnung mit ihr hatte ich, da war ich 14 Jahre alt, Anfang der 1980er-Jahre. Das Handballtraining fiel aus, weil die miefige Schulturnhalle in der Kleinstadt am Eifelrand für ein Konzert der Kölschrocker umgebaut worden war. Ich habe mich sehr geärgert damals, mit der Sporttasche unterm Arm. Vill passiert sickher, denke ich und schaue aus dem Augenwinkel auf meinen Jungen, der inzwischen schon einen halben Kopf größer ist als ich. Dann spielt BAP Nix wie bessher, den Song über Erlebnisse und Erfahrungen, nach denen alles anders und nichts wie bisher ist: »Su deef hatt noch jar nix berührt«, bekennt Wolfgang Niedecken. Am Ende des Stücks dreht sich der Mann in der Reihe vor uns um, schaut meinem Sohn tief in die Augen und sagt mitten im Emsland in reinstem Kölsch: »Dat sin keine Leeder, Jung, dat sin Lebensjeschichten.«
Landmarks for People
Der britische Musiker Mark Knopfler, von 1977 bis Anfang der 1990er-Jahre Leadsänger und Songwriter der Dire Straits, spricht während eines Konzertes 2009 von Musik, die tatsächlich Teil der Lebensgeschichte wird. Eines Abends, so erzählt Knopfler, kam er von einem Konzert nach Hause und war wieder einmal unzufrieden mit der Performance von Sultans of Swing und der Reaktion des Publikums darauf. »Maybe I should stop playing it«, grübelt er vor sich hin. Er kommt mit seiner Frau Kitty ins Gespräch, die ihn fragt, ob er den Song so gespielt habe wie immer. Nein, habe er geantwortet, man könne ja nicht immer den gleichen Zirkus machen, er wolle die alten Titel auch einmal anders spielen. »Well, that’s the problem«, lernt der Songwriter von seiner Frau, die ihm einschärft, die Stücke so zu spielen, wie die Leute sie kennen und hören wollen. »They’re landmarks for people. The songs are milestones for people in their lives. And they use them to live with.«
»The songs are milestones for people in their lives. And they use them to live with.«
Ja, so ist es. Es gibt Musikstücke, die sind Meilensteine, Orientierungspunkte, ja tatsächlich Wahrzeichen in der Landschaft meines Lebens. Ich brauche sie zum Leben und ich gebrauche sie, um überhaupt leben zu können. Hunderte, Tausende Male habe ich sie gehört, immer gleich, immer anders, in verschiedenen Versionen, in unterschiedlichen Stimmungen, habe von der Musik gelebt, von den Texten oder von beiden zusammen. Vielleicht kann man auch von Bildern oder Romanen auf diese Weise leben, ich lebe von der Musik. Sie berührt mich auf verschiedenen Ebenen, mit Melodie und Rhythmus und ebenso mit Erzählungen und Reflexionen, die mir meine eigenen und andere, fremde Welten erschließen.
In einem kleinen Buch von Stefan Knobloch über das uneindeutige Glauben heute finde ich die Rezeption der Ideen des britischen Philosophen Tim Crane zum ›Gegenstand‹ von Religion (Knobloch 20–32). Religion, davon ist Crane überzeugt, hat die Funktion, eine unsichtbare Ordnung zur Verfügung zu stellen, die dem Menschen ermöglicht, der Welt und dem Leben Sinn abzugewinnen. Ist das nicht sehr nah an dem, was Musik tut, wenn sie Landmarks und Milestones bietet, die zum Leben helfen? Der Glaube – und ich ergänze mit Mark Knopfler: auch die Musik – greift »nach einer bedeutungstragenden Wirklichkeit aus. Die Welt wird nicht zum bedeutungslosen, sondern zum bedeutungsvollen Ort« (Knobloch 23).
Wer kann noch Paränese oder Paradies?
Nicht, dass ich dahin zurückwollte, den Leuten mit Theologie und Verkündigung ständig ins Gewissen zu reden. Das haben wir lange genug getan. Und selbstverständlich ist religiöse Erziehung und Bildung mehr und etwas anderes als Moralpädagogik. Wenn ich aber sehe, was sich tut in unserem Land und der Welt, wünschte ich mir manchmal, es gäbe noch jemanden, der aus der Perspektive des Evangeliums dagegenhält, dagegen predigt, dagegen ermahnt – und dem mehr Menschen zuhören als eine müde Schulklasse in der dritten Stunde oder eine Handvoll Senioren während der Predigt in der Frühmesse. [...]
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