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AUFTAKT
Lukas Ricken / Joachim Theis
Händewaschen statt Posaunen – Apokalypse(n) 2020/2021
Die Offenbarung des Johannes gehört sicher zu den sperrigsten Büchern der Bibel. Und doch lohnt es sich – auch mit Schüler*innen –, die biblische Endzeitthematik näher unter die Lupe zu nehmen und sie zu eigenen Vorstellungen, Theorien und Konzepten von Apokalyptik in Verbindung zu setzen.
Händewaschen statt Posaunen – Apokalypse(n) 2020/2021
»Die Apokalypse hab ich mir mit Zombies und Pumpguns vorgestellt und nicht mit Händewaschen und zuhause bleiben.« (@der Lehnsherr via Twitter, 10.03.2020) – »das ist wirklich der langweiligste Weltuntergang aller Zeiten« (@elhotzo via Twitter, 14.02.2021). Zwischen diesen zwei Tweets liegt fast ein Jahr Coronapandemie und gleichzeitig markieren sie den Beginn und den Abschluss der Arbeit an diesem Heft.
Kein ›Coronaheft‹, sondern ein ›Bibelheft‹ in guter Tradition der Katechetischen Blätter sollte es werden, in dem eines der bildgewaltigsten Bücher der Bibel – die Offenbarung des Johannes – in den Fokus gerückt wird. Und doch lassen alle Beiträge dieser Ausgabe klar erkennen, dass die Erfahrungen der Pandemie zur Hintergrundfolie wurden, vor der die Autorinnen und Autoren ihre Überlegungen entfalten.

Es geht nicht weiter! Die Pandemie als Antiapokalypse


Händewaschen statt apokalyptischer Posaunen, Langeweile statt Weltuntergang. Die Coronapandemie entspricht so gar nicht den apokalyptischen Bildern, die wir aus der Popkultur kennen und die besonders in den Medienwelten Heranwachsender und junger Erwachsener einen festen Platz haben. Die eingangs zitierten Tweets machen dies sehr deutlich: Der Alltag in Zeiten der Pandemie ist geprägt von Eintönigkeit und Einsamkeit, die individuellen Wünsche und Pläne sind ausgebremst. Die Unsicherheiten, Ängste und die Trauer, die diese Zeit ebenfalls prägen, sind hingegen viel zu oft unsichtbar geblieben. Besser als Worte können die Fotografien der Mainzer Künstlerin und Theologin Alina Röbke in diesem Heft ausdrücken, dass sich die »Antiapokalypse 2020/2021« unseren vertrauten Bildern und Erklärungsmustern entzieht.

Wie geht es weiter?
Popkultur als Postapokalypse


Vertraut sind uns apokalyptische Bilder und Motive vor allem aus dem Kino, aus Serien, Romanen, Videospielen und Musik. Die Apokalypsen der Popkultur erzählen vom Ende der Gesellschaft, von den Konsequenzen ungebremsten Fortschritts und der menschlichen Hybris. Vor allem aber erzählen sie davon, wie es nach dem Zusammenbruch post-apokalyptisch weitergeht. Sie eröffnen Möglichkeitsräume, in denen Heldentum und Zusammenhalt existieren, die aber häufig von Gewalt und dem Ende menschlicher Solidarität geprägt sind. Die Postapokalypse ist damit wenig mehr als Legitimation für das Handeln der Protagonist* innen: Wo keine gesellschaftlichen Strukturen existieren, ist Gewalt oft die passende Lösung.

Besonders auffällig ist dabei, dass heutige Apokalypsen fast durchgehend ›innerweltlich‹ und ›immanent‹ verfasst sind – die Zombies im Erzähluniversum von The Walking Dead entstehen durch ein Virus (!) und auch der vom Maya-Kalender angekündigte Weltuntergang in Roland Emmerichs 2012 lässt sich auf eine Sonneneruption zurückführen. Eine Apokalypse, in der eine göttliche Macht in die Geschichte eingreift, scheint keine Faszination zu entfalten, mit der sich Produktionskosten zuverlässig wieder einspielen lassen.

Es geht weiter! Biblische Apokalyptik als Quelle für Trost und Hoffnung

Angesichts der Erfahrungen von Anti- und Postapokalypse wird deutlich, dass die biblische Apokalyptik etwas ganz anderes erzählen will. Insbesondere die Johannesoffenbarung ähnelt den Apokalypsen der Gegenwart nur oberflächlich. Zwar sind Machtmissbrauch, Krieg, Hungersnot und Tod – die vier apokalyptischen Reiter (vgl. Offb 6,9–11) – hier wie dort präsent, doch erzählt Johannes gerade nicht vom Schrecken ohne Ende. Denn die Welt besteht seiner Ansicht nach aus zwei Äonen, die deutlich voneinander getrennt sind und in ihrer Wertung als gut (die kommende Weltzeit) und als schlecht (die gegenwärtige Weltzeit) einander gegenüberstehen. Deshalb richtet der frühchristliche Apokalyptiker seinen Blick auf das in Jesus, dem Christus, Kommende. Das Schauen in die Zukunft und das Sprechen über sie ist sein primäres Interesse. Am Ende der Zeit werden die Geheimnisse, die schon mit dem Schicksal Jesu Christi eingetreten sind, offen zutage treten. Seine Träume, Visionen, Epiphanien und Weisungen belegen diese individuelle Bindung des Apokalyptikers an den Gott seiner Erfahrung.

Die Offenbarung des Johannes ist nicht von Pessimismus oder gar Fatalismus durchdrungen, sie ist vielmehr eine Quelle der Hoffnung, der Ermutigung und des Trostes.

Die Offenbarung des Johannes ist nicht von Pessimismus oder gar Fatalismus durchdrungen, sie ist vielmehr eine Quelle der Hoffnung, der Ermutigung und des Trostes. An ihrem Ende steht kein Untergangsszenario, sondern das Hoffnungsbild eines neuen Jerusalem – einer perfekten Stadt, in der es keine Not und keine Krankheit mehr gibt: »Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal« (Offb 21,4). Die paradiesische Schöpfung Gottes wird von Neuem aufgerichtet, der Grund hierfür wird benannt: Tod und Auferstehung Christi (vgl. Offb 1,5), des Lammes Gottes (vgl. Offb 5,8; 17,14; 21,23). Mit dem messianischen Auftreten Jesu beginnt eine neue Zeit.

›So‹ geht es nicht weiter. Die religionspädagogische Relevanz biblischer Apokalyptik

Neben der Fremdartigkeit biblischer Apokalyptik im Allgemeinen liegt es sicherlich an der vermeintlichen Unzugänglichkeit der Johannesoffenbarung im Besonderen, dass diese in den Feldern religiösen Lernens nur allzu oft ein ›Buch mit sieben Siegeln‹ bleibt. Im Religionsunterricht der Oberstufe beschränkt sich die Auseinandersetzung mit Aspekten der Apokalyptik meist auf die synoptischen Evangelien, in der Unter- und Mittelstufe bleibt ›Zukunft‹ meist ein Thema der individuellen Lebensführung.

Biblische Apokalyptik ist eine Herausforderung für unser religionsdidaktisches Denken und Handeln. Die Beiträge dieses Heftschwerpunktes wollen aber Mut machen, sich dieser Herausforderung zu stellen, zeigen sie doch klar den Erfahrungskern der Johannesoffenbarung auf: das Gefühl, dass es ›so‹ nicht ewig weitergehen kann. An ihrem Ursprung steht die als existenziell bedrohlich erlebte Spannung, dass Menschen angesichts einer als ungerecht und bisweilen gar heillos und gottlos erlebten Lebenssituation an dem Glauben an eine gute Zukunft festhalten wollen. Den innerweltlichen Ohnmachtserfahrungen stellt die Johannesoffenbarung in symbolischer Chiffrierung eine Heilszusage entgegen: Der Herr der Geschichte hält trotz allen Unheils das Heft des Handelns in der Hand. Hoffnung und Freiheit werden angesichts des Sieges der Gottesherrschaft die Endzeit prägen.

Die Auseinandersetzung mit diesem Erfahrungskern kann uns auch heute darin stärken, die Spannung von täglich erlebter Ungerechtigkeit und begründeter Hoffnung wahrzunehmen, auszuhalten und zum Ausgangspunkt unseres Handelns zu machen. Darin liegt ihre elementare Wahrheit und Relevanz für religiöse Bildung.

Wie könnte es weitergehen? Optionen für die Praxis

Auch wenn es einem Auftakt nicht ansteht, ein Fazit zu ziehen, so sollen doch zwei Optionen formuliert werden, die helfen können, die Erkenntnisse der folgenden Beiträge auf die eigene religionspädagogische Praxis zu übertragen:
Die Beiträge dieses Heftschwerpunktes machen sichtbar, dass das ganz Eigene der Johannesoffenbarung heute nur in Beziehung – und oft im Kontrast – zu anderen und weiter verbreiteten Konzepten von ›Apokalypse‹ in die Praxis eingebracht werden kann. Dieses Verfahren ermöglicht es den Lernenden, ihre eigenen Vorerfahrungen, subjektiven Theorien und Konzepte von Apokalyptik zu reflektieren und so trennscharf sowohl das Unterscheidende als auch das Verbindende biblischer Apokalyptik zu erfassen.

Darüber hinaus wird in der Zusammenschau der Beiträge deutlich, dass das letzte Buch des Neuen Testaments seine Wirkung vor allem affektiv und ästhetisch entfaltet. Die aufrüttelnden und bisweilen irritierenden Bilder und Symboliken, die in den Visionen des Johannes erschaffen werden, verschließen sich einer trockenen Logik oder kognitiv-textwissenschaftlichen Zerstückelung. Sie fordern die Einbindung eigener Emotionen in den Verstehensvorgang und laden dazu ein, diese zu entdecken, zu artikulieren und ihnen letztlich zu vertrauen.

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