archivierte Ausgabe 1/2024 |
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Britta Baumert |
Von der Ambivalenz des Nichtstuns zwischen Anforderung, Muße und Ignoranz |
Bruno Mars besingt im »Lazy Song« das Lob der Faulheit: »Today I don’t feel like doing anything.« Doch das Nichtstun ist viel mehr! Es birgt Muße, Ruhe, Erholung. Nichtstun ist alles andere als »lazy«. |
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Denn je nachdem wie ich »nichts tun« betone, entsteht eine andere Konnotation. Spreche ich »NICHTS tun« vorne betont, meine ich damit Ruhe, Muße, Erholung. Die eher negativ besetzte Konnotation von Faulheit hingegen entsteht im Deutschen vor allem, wenn die Betonung auf dem zweiten Wort liegt – »nichts TUN« im Sinne einer Handlungsverweigerung. Letztlich geht es also um die Ambivalenz zwischen Aktivität und Passivität. Entscheide ich mich in der Hektik des Alltags aktiv dafür, einmal nichts zu tun, mir bewusst Ruhe zu gönnen und mir eine Auszeit zu nehmen, oder fühle ich mich ohnmächtig angesichts übergroßer Anforderungen oder aber fehlender Aufgaben, die mich in Passivität erstarren lassen?
Muße und Achtsamkeit als aktive Formen des »Nichtstuns«
Betrachten wir zunächst den aktiven Part des Nichtstuns – die Muße. Tatsächlich steckt in der Muße mehr Aktivität, als man denkt. So wird Muße als eine Tätigkeit definiert, die frei von Zeitdruck und Zweckrationalität erfolgt. Muße wird verstanden als eine erfüllte Zeit, die verbracht wird, ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen – der Sinn der Handlung liegt in ihr selbst. Der Muße wohnt somit ein Akt der Selbstfindung und Selbstverwirklichung inne. Ob eine Tätigkeit als Muße empfunden wird, obliegt dabei der Deutungshoheit des jeweiligen Subjekts (vgl. Gronover 51).
An die Stelle der Muße als Akt der monastischen Spiritualität tritt gegenwärtig in unserer Gesellschaft der Begriff der Achtsamkeit. Bereits in den 2000er-Jahren begann in den nördlichen Industriestaaten eine Art Achtsamkeitsboom, der das buddhistische Prinzip in die westliche Kultur als Mittel der Stressbewältigung übersetzte. Achtsamkeit als religiöse Praxis ist geprägt von Selbstkultivierung im erkenntnismäßigen und ethischen Sinn. Ziel von Achtsamkeitsübungen ist das »Erwachen« und damit einhergehend die Überwindung von Gier, Hass und egozentrischer Verblendung (vgl. Baatz 10–13 ).
Doch mit der kontextlosen Verpflanzung der buddhistischen Praxis in eine neoliberale Industriegesellschaft geht eine Transformation des Achtsamkeitsprinzips einher. So wird Achtsamkeit in unserer Gesellschaft als Stressregulation, Burn-out-Prophylaxe und im Sinne der Selbstoptimierung zur Steigerung der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit eingesetzt (vgl. Teschmer 131ff). Sinnesübungen, Körperwahrnehmung und Meditation werden kombiniert mit Schweige-Phasen, bewusstem Innehalten und Atemübungen (vgl. Baatz 19–23). Was von außen aussieht wie »nichts tun«, ist tatsächlich geprägt von einem hohen Grad an Aktivität insbesondere durch eine bewusste Durchbrechung der alltäglichen Gewohnheiten, einem Sich-Entziehen der Reizüberflutung und der durchgetakteten Arbeitswelt. Wird jedoch das Praktizieren von Achtsamkeitsübungen als Mittel der Leistungssteigerung im Sinne des Enhancements in den Arbeitsalltag integriert und das Prinzip der Selbstoptimierung an oberste Stelle gesetzt, hat diese Form der Achtsamkeit weder etwas mit der buddhistischen Achtsamkeitspraxis noch mit dem »Nichtstun« gemein.
Von Passivität und Langeweile
Doch wie sieht es mit der passiven Form des »Nichtstuns« aus? Wenn Nichtstun eben keine bewusst gewählte Form des Innehaltens, des Pausierens ist, sondern das Nichtstun unfreiwillig erfolgt und sich in Form von Langeweile manifestiert? Insbesondere während der Lockdowns in der Corona-Pandemie griff die Langeweile um sich, denn man konnte quasi nichts tun. Einige Soziologen wiesen in diesem Zusammenhang auf das kreativitätsfördernde Potenzial von Langeweile hin. So suche das Gehirn in der Phase des Nichtstuns nach neuen Formen der Beschäftigung, um seinem Drang nach Aktivität nachzukommen (vgl. Ohlmeier 54). [...]
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