archivierte Ausgabe 1/2023 |
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Rita Burrichter / Viera Pirker |
Präsenz neu entdecken |
Präsenz – so selbstverständlich, doch auch sehr hinterfragt. Zeigt sich Präsenz immer nur als gleichräumlich-gleichzeitige Gegenwart? Ist sie mehr als das, anders als das? Ist sie vielleicht eine Haltung? Erkundungen in drei Erfahrungsfeldern der Präsenz: Liturgie, Schule, Medien. |
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Durch eine Zeit, in der Präsenz gefährlich geworden ist, haben wir uns in Bildungszusammenhängen der Präsenz beinahe entwöhnt und zugleich wird die Grundlage der Bildung als gleichräumlich-gleichzeitige Gegenwart in ganz verschiedenen Modellen neu erprobt, reklamiert und entwickelt. Haben wir gelernt, altvertraute Modelle neu zu schätzen und zu gestalten? Haben wir gelernt, neue Modelle zu entwerfen und zu evaluieren? Wir müssen heute Präsenz begründen und argumentieren, wir können sie auf Distanz gestalten, wir entwickeln sie weiter und besinnen uns ihrer Qualität.
Die Erfahrungen nehmen wir in diesem Heft zum Anlass, Präsenz aus verschiedenen Perspektiven neu zu denken und zu thematisieren. Was ist Präsenz in pädagogischer Perspektive, aber auch theologisch, spirituell, ästhetisch, medial? Wie wird Präsenz gestaltet? Welche neuen Erfahrungen der Präsenz ergeben sich in der Praxis?
Näher kommen – anwesend sein
»Darf ich überhaupt hier sein?« Als sich im ersten Corona-Lockdown Gottesdienste ins Internet verlagerten, wurde das Betreten einer Kirche zur Expedition. Ausrüstung in Form von Mundschutz war zu beschaffen und vielfältige Hindernisse waren zu überwinden. Denn oft waren und blieben die Türen verschlossen, gelegentlich verwechselte man in Spendern angebotenes Desinfektionsmittel mit Weihwasser. Bankreihen waren wie Baustellen mit Flatterband gesperrt. Rigide Aufseher* innen kontrollierten gebotene Abstandsforderungen. Hier ist Gott anwesend? Dann hat er sich aber gut verbarrikadiert. »Muss ich hier überhaupt sein?« Überraschend viele – auch und gerade ältere Menschen – erleben die digitale Wendung des Liturgischen positiv: nicht da und doch dabei sein. Die eigene Wohnung wird ganz neu erfahrbar zum Raum der Gegenwart Gottes. Unzählige Anregungen zur kreativen Gestaltung kursieren und werden umgesetzt. Vielerorts etablieren sich ganz stabile Hausliturgien – bis heute. Die digitale-analoge Präsenz des Liturgischen im Alltagsraum vermag tatsächlich bei einigen die religiöse Selbstwirksamkeitserfahrung zu stärken. Natürlich wird auch die Kehrseite sichtbar im lautlosen Abschied so vieler, die festgestellt haben, dass sie ganz gut auf eine gemeindliche Anbindung verzichten können, dass ihnen der gemeinsame Gottesdienst nicht fehlt, dass die persönlichen Beziehungen und gemeinschaftlichen Aktivitäten längst durch andere ersetzt sind. Und doch: »Muss ich überhaupt hier sein?« Überraschend viele – auch und gerade jüngere Menschen – reaktivieren ganz aktuell Formen religiöser Praxis, die eine enge Verknüpfung von gleichräumlicher Präsenz und spiritueller Erfahrung von Realpräsenz beinhalten. Sie tun das nicht erst seit Corona. Schon länger ist im jugendpastoralen Kontext ein Anwachsen von Bewegungen und Initiativen zu verzeichnen, die Formen eucharistischer Anbetung pflegen, sich auf Wallfahrten begeben, unter dem Label »wor-ship« eine neue gemeinschaftliche Gebetskultur kultiviert haben. Manche dieser Praxisformen galten bereits lange als überholt, nun erscheinen sie im zeitgenössischen Gewand überraschend vital. Deren bejahende Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit und Bedeutung von leiblich-räumlicher Anwesenheit im sakralen Raum erweist sich dabei weniger als traditionales Beharren auf Kirchengeboten, sondern als ein zugleich erfahrungsgesättigtes und erfahrungshungriges Sehnen nach realpräsentischer Unterbrechung des Hier und Jetzt, nach Erfahrung von Alterität, von Transzendenz. Zu vermuten steht, dass sich hier ein Prozess der Annäherung an das Heilige vollzieht, der nicht zuletzt vermittels der sinnlich-ästhetischen Qualität von realem Raum und realer Zeit produktiv zu werden vermag. Was tun wir religionspädagogisch mit dieser Sehnsucht nach realer Gegenwart und ihren Erscheinungsformen? Sind sie »nur« Ausdruck privater Frömmigkeit oder als Herausforderung einer zeitgenössisch revidierten mystagogischen Religionspädagogik bearbeitbar? [...]
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